In Björnscoll

Ein abgelegenes winziges Dorf in den Bergen, an dem so gut wie nie ein Reisender vorbei kommt.

Wieder und wieder sah Ryan dieses eine lächelnde Gesicht über sich, wenn er am Morgen die Augen aufschlug. Es war immer dieser Moment, der ihm das erste Lächeln des Tages entlockte. Freya schien extra immer ein paar Minuten vor ihm aufzuwachen, dass er dieses Gefühl genießen konnte.
„Du bist ja schon wach,“ kommentierte er und strich sich ihre Haare aus dem eigenen Gesicht.
Sie hatten dieses kleine Dorf vor zwei Tagen erreicht und gegen Mithilfe konnten sie hier wohl auch noch einige Tage bleiben. Der Ort war so abgelegen von jeder Straße, dass so schnell niemand ihn finden würde. Bis hier hin war ihre Reise anstrengend und gefährlich gewesen. Er hatte eine Menge Magie eingesetzt und auch Freya hatte das getan.
„Sinja meine Liebe, was gibt es heute zum Frühstück?“
Manchmal ertappte er sich bei der Frage, wie es eigentlich gewesen war, als er sie noch nicht gekannt hatte. Es kam ihm regelrecht so vor, als hätte er viele Jahre seines Lebens verschwendet. Anstatt sich Sorgen zu machen, genoss er es einfach einmal sich verwöhnen zu lassen. Verdient hatte er es sich auf jeden Fall. Sollten die Männer, die sie bestimmt noch immer suchten doch bleiben wo das Laub verrottete!
Ryans Blick reichte in die Zukunft, in der er das Sagen hätte. Eine Zukunft in der seine Träume wahr würden und man ihn nicht verlachte oder schief anblickte. Wenn er es wollte, würde es eine Zukunft zusammen mit Freya sein, auch wenn irgendwo ganz weit unten die Sorge darum wohnte, dass er längst nicht so alt werden könnte, wie er gerne wollte. Energisch verjagte er seine Gedanken mit einem Kopfschütteln.
Leicht nur verzog er das Gesicht, als er sich aus dem Bett wälzte um sich anzuziehen. Leider dauerte die Heilung seiner Wunde noch an, obwohl seine Elfe all ihre Heilkünste an ihn verschwendet hatte. Sie hatten eben kaum Zeit gehabt sich anständig zu versorgen und nun musste er darauf achten, dass die Dorfbewohner nicht zu viel über seine Verletzung erfuhren. Es hätte sie womöglich in Gefahr gebracht und das hatten sie nicht verdient. Im Gegenteil, hatten sie eine Menge Lob und Unterstützung verdient. Sie hatten sehr wenige Fragen gestellt und ihnen angeboten in dem kleinen Haus am Hang zu wohnen, wenn sie ihnen bei den täglichen Arbeiten halfen. Aran betätigte sich als Heilkundiger und hatte schon Hustentee und Wundverband an den Mann gebracht. Ryan selbst musste sich noch zurückhalten, damit sein Körper sich von der Verletzung erholen konnte. Das ärgerte ihn, denn er zeigte nicht gerne eine solche Schwäche.
„Ist die Kleine auch schon wach?“ fragte er verwundert, als er zu dem kleinen Bett hinüber spähte, in dem ihre Adoptivtochter schlief. „Offenbar geht es ihr also gut.“

Die Elfe war an diesem Morgen aufgewacht, wie an jedem anderen. An der Seite von Ryan. Er schlief noch, wenn sie ihre Augen öffnete, was ihr die Zeit gab ihn zu betrachten und beim Aufwachen zu beobachten. Ein Lächeln zierte dabei seine Lippen, als er die Augen aufschlug und fast schon erwartungsvoll in ihr Gesicht blickte. Als wüsste er bereits, dass sie ihn ansah. "Du bist auch ein Langschläfer, da ist es nicht schwer vor dir wach zu werden." Er strich sich ihre Haare aus dem Gesicht, was der Elfe ein amüsiertes Lachen entlockte, ehe sie sich aufrichtete und mit einer Hand ihre Haare in die richtige Position brachte, damit diese ihn nicht mehr störten. Tatsächlich hatte sie schon einmal darüber nachgedacht, sie ein wenig zu kürzen, behinderten sie die Elfe doch in ihrem Tun. Allerdings war das ein Schritt, den sie nach wie vor noch wirklich bereit war zu gehen.
Ihre Haare standen für ihr Volk und bisher hatte sie ihre Haare noch nie geschnitten. Der Magier fragte sie, was es zum Essen geben würde und Freya blickte ihn einen Moment lang nachdenklich an. "Aran hat Brei gekocht. Ich vermute mal, dass es das geben wird, zusammen mit Obst und etwas Brot." Sie schwang ihre Beine über die Bettkante und musterte ihre von der Sonne inzwischen leicht gebräunte Haut. Eigentlich konnte man es gar nicht als Bräune bezeichnen. So hell wie ihre Haut gewesen war, würde man es vermutlich schlicht und ergreifend als normale Hautfarbe identifizieren. Ryan schien es sichtlich zu genießen, einfach mal zur Ruhe zu kommen. Nicht auf der Flucht zu sein und auch Freya genoss es, endlich wieder ein wenig Frieden zu haben. Sie schliefen in einem Bett, hatten Essen und etwas zu tun, was den Alltag fast schon normal werden ließ für sie. Manchmal fühlte sie sich, als wären sie eine kleine Familie. Andächtig zog sie sich an, band ihre Haare zu einem Zopf und sah dann zu Ryan hinüber, wie er mit einem Ausdruck von leichtem Unmut, sich aus dem Bett wälzte und ebenfalls anzog. Bestimmt ärgerte es ihn, dass er noch nicht so fit wieder war, wie er es gern würde. So wie sie ihn kannte, steckte er voller Tatendrang und wollte etwas zu tun haben. Mit wenigen Handgriffen holte sie Geschirr hervor und stellte es auf den Tisch. "Ja, sie ist vorhin mit Aran hinaus, um Kräuter zu sammeln." Aran und Alisa wirkten inzwischen wie Geschwister. Das Mädchen hing an seinem Rockzipfel und wollte alles darüber wissen, was er sammelte, herstellte und verkaufte. Allerdings fühlte sich Freya dann doch noch etwas zu jung, um von beiden die Mutter zu spielen. So gaben sie ihn schlicht als Ryans jüngeren Bruder aus. Die Leute hier schien es nicht zu stören. Niemand fragte genauer nach oder verzog eine Miene. Man schien sich hier mit allem abzufinden und ein genügsames Leben zu schätzen. Wie gern würde sich die Elfe dem Trugbild ganz und gar hingeben. Die Flucht vergessen und so tun, als wäre all das nie geschehen. Diese Reise hatte die Elfe verändert, ihren Glauben auf eine harte Probe gestellt, doch war sie auch daran gewachsen.
In diesem Dorf hatte Freya das erste Mal körperlich schwere Arbeit geleistet und den anderen Frauen auf dem Feld geholfen. Anfangs wollte man sie noch davon abhalten, eine Frau wie sie, dürfte sich doch nicht mit einer solch niederen Arbeit abfinden, aber nach ein paar Tagen spürte die Elfe, dass die Bewohner sie mehr respektierten und nicht mehr nur höflich nickten. Die Hellblonde stellte das Essen auf den Tisch und sah schließlich mit einem ausgeglichenen Ausdruck zu Ry hinüber. Obwohl er es vermutlich nicht zugeben würde, so hatte auch er sich verändert. In einem Anflug von Freude, legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, als sie an ihm vorbeiging und lächelte sanft. "Ich schau mal, ob ich die zwei finde und dann können wir essen. Möchtest du mitkommen?"

"...eigentlich bin ich das nicht," meinte er und erinnerte sich dabei an eine andere Szenerie, als er mit ihr ihm Wald unterwegs gewesen war. Das war das erste Mal gewesen, dass sie ihm nahe gekommen war. Sie hatte sich im Schlaf an ihn gekuschelt, weil ihr kalt geworden war. Er erinnerte sich gut an ihren geradezu entsetzten Gesichtsausdruck, als sie bemerkt hatte, wo sie sich befand. Eigentlich war Ryan immer früh aufgewacht, was ihnen bei ihrer Flucht zugute gekommen war. Seit seiner Verletzung schien sein Körper aber mehr Schlaf zu benötigen und nahm sich die Zeit einfach. 

Die jüngeren schienen das blühende Leben zu sein und besonders das Mädchen schien sich von der Zeit im Gutshof zu erholen. Er war froh, dass Alisa sich nicht mehr so auf ihn fixierte, nur weil er sie von Mierseblatt befreit hatte. Vielleicht war die Idee beide hier zurück zu lassen doch nicht so verkehrt. Er war noch immer auf der Flucht und jeder der mit ihm zu tun hatte, befand sich in einer gewissen Gefahr. Es war für ihn neu, aber er wollte nicht, dass Alisa und Aran etwas zustieß. 

Nur leicht schüttelte Ryan den Kopf, als Freya fragte, ob er mitkommen wollte. 
"Wenn ich mitkomme, brauchen wir womöglich doppelt so lange, bis wir wieder hier sind."
Er verzog das Gesicht und ließ sich auf die Bank am Tisch fallen. So schwer verletzt war er zuvor noch nie gewesen und wenn er die Wahl hätte, würde er es auch nie wieder so wollen. Vermutlich empfanden ihn die anderen in der letzten Zeit als ziemlich mürrisch und hatten recht damit. Er hasste es auf andere angewiesen zu sein. Leute herum zu scheuchen und sie das tun lassen, was er wollte, war etwas anderes. 
Ob er sich verändert hatte, konnte er nicht sagen, aber vielleicht war er ein besserer Schauspieler geworden. Jedenfalls schien ihm jeder den besorgten älteren Bruder, Ehemann und Vater abzukaufen. Leider ging es in diesem winzigen Dorf mehr um Landwirtschaft und Viehhaltung als um irgendeine Art von Politik. Vielleicht würden sich die Menschen zusammenfinden und diskutieren, wenn es etwas wichtiges zu entscheiden gab, aber im Großen und Ganzen bestimmte vor allem das Wetter ihr Leben. So gut ihm die Pause tat und so gerne er sich ein wenig verwöhnen ließ, er wollte hier weg und an einen Ort, an dem er sich einmischen konnte. Hier würde er die Welt wohl kaum nennenswert verändern können. 
Er sah Freya hinterher, wie sie das Haus verließ um nach den jüngeren zu suchen. Fast glaubte er, dass ihr das Ganze leichter fallen könnte, als ihm selbst. Vermutlich lag das aber einfach daran, dass sie keine solch großen Ziele mit ihrer Flucht verband wie er. 
Nachdenklich zog er den Topf mit dem Brei zu sich heran und verteilte ihn in die Schälchen. Eigentlich mochte er solchen Brei nicht besonders, aber hier gab es eben nicht viel Auswahl.